Vorwort

Bildungsschatz Bibel

Vorwort und Übersicht

  • ‘Die Bibel ist kein Orakelbuch: Sie ist nicht dafür geschrieben worden, dass man sie wahllos an einer Stelle öffnet und den ersten Vers liest, der einem ins Auge fällt. Jeder Vers gehört zu einem größeren Zusammenhang. Wer Vers für Vers im Zusammenhang liest, wird das ‘große Ganze’ des Textes in den Blick bekommen. Manchmal sind auch Hintergrundinformationen nötig, um einen Text richtig zu verstehen.’

(aus: Steig ein in die Bibel – Gute Nachricht für dich)

Dieser Voraussetzung folgt diese Onlineausgabe unserer Bibelausstellung. In vierzehn Epochen wird die Geschichte Israels, bzw. die Geschichte der urchristlichen Gemeinden, wie sie die Bibel belegt, dargestellt. Angehängt werden die jeweiligen biblischen Bücher, die aus dieser Zeit berichten.

Dabei muss beachtet werden, dass die Geschichten oft einen langen Überlieferungsprozess hinter sich haben.

Die Verfasser der Bücher hatten auch meist keine historische Absicht. Sie stellten die Geschichten in den Dienst ihres Glaubens bzw. ihrer Theologie.
Die moderne Theologie geht davon aus, dass viele Geschichten einen mythischen, sagen- oder legendenhaften Hintergrund haben. Trotzdem können diese Geschichten als wahr gelten, wenngleich ein anderer Wahrheitsbegriff als der historische zu Grunde liegt.

Jedoch haben die biblischen Geschichten (mit Ausnahme der Urgeschichte) bewusst einen zeitgeschichtlichen Bezug. Sie wollen Gottes konkrete Geschichte auf der Erde manifestieren. Nicht jenseits von Raum und Zeit offenbart sich Gott, sondern er kommt zu konkreten Menschen, die zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Land gelebt haben. Außerbiblische Quellen und archäologische Funde bestätigen den historischen Bezug.

Jedem Zeitabschnitt wird exemplarisch ein theologisches Grundmotiv zugeordnet, das für den christlichen Glauben wichtig ist. Hier werden Texte aus der ganzen Bibel zitiert, um Linien bzw. biblische Grundeinsichten, die noch heute tragen, zu ermitteln.


Warum es lohnend ist, sich mit der Bibel zu beschäftigen

  • Die Bibel ist ein wichtiges Buch, für Gläubige und Nichtgläubige! Gerd Theissen hat in seinem im Jahr 2003 erschienen Buch ‘Zur Bibel motivieren’ einige Gründe für diese Behauptung übersichtlich zusammengefasst.

Verstehen der eigenen Vergangenheit
Die Beschleunigung der kulturellen Entwicklung des Menschen fand im ‘fruchtbaren Halbmond’ (Vorderer Orient) statt. Weisheit, Rechtskultur, Gebete und Nachklänge ihrer Mythen sind bis heute prägend. Das Menschenbild (incl. der Idee der Menschenwürde), die Ethik (incl. der 10 Gebote und des Liebesgebots), das Geschichtsbild (das Verantwortung und Umkehr propagiert) und das Gottesverständnis (das in Gott ein Zentrum unendlicher ethischer Energie sah), sind aus unserer Geschichte nicht wegzudenken. Jeder gebildete Mensch sollte damit vertraut sein.

Beitrag zur Allgemeinbildung
Daran anknüpfend trägt die Beschäftigung mit der Bibel zur Allgemeinbildung bei. Sprichwörter wie ‘ein Salomonisches Urteil fällen’, ‘eine Hiobsbotschaft empfangen’ u.ä., sind ohne Kenntnis der Bibel nicht zu verstehen. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob man glaubt oder nicht.

Kommunikationsbeitrag
“Eine pluralistische Welt ist darauf angewiesen, dass Menschen sich auch dann noch verstehen, wenn sie verschiedener Meinung sind. Sprachlosigkeit und Unverständnis schaffen die Voraussetzung für Konflikte.” Wie es für Christen Pflicht ist, sich mit anderen Religionen auseinanderzusetzen und sie verstehen zu lernen, kann man von Nichtchristen erwarten, sich mit der Gedankenwelt und dem Glauben der Christen auseinanderzusetzen, um Vorurteile und Angst und damit Aggressivität abzubauen.
In der Bibel finden sich zahlreiche Grundmuster von Riten, Mythen und Ethos, die auch in anderen Religionen zu finden sind. Die Beschäftigung mit der Bibel ist also ein Beitrag zur Friedensarbeit. Auch im direkten Sinn. Religion kann lebenszerstörend sein (Fanatismus). Über ihr liegt auf der anderen Seite aber auch die Verheißung, “dass sich die Energie des Bösen in Segen verwandeln kann.” Die Signale des Friedens sind in allen großen Religionen viel dominanter als die Aufforderungen zum Krieg!

Beitrag zur Identitätsfindung
Auch für nichtgläubige Menschen kann die Beschäftigung mit der Bibel zur eigenen Identitätsfindung helfen, indem man sich deutlich gegenüber dem Menschen- und Gottesbild der Bibel abgrenzt, es in Teilen übernimmt bzw. es durchwegs positiv bejaht. “In einer pluralistischen Welt kann man sich über religiöse Fragen verständigen, ohne missionarischen Zwang oder konfessorische Nötigung zu empfinden.”

Gibt ethische Normen
In der Postmoderne fallen viele Traditionen weg. Was unseren Eltern als wichtig und absolut galt, wird hinterfragt. Die Grundfrage bleibt: Wie kann ein Zusammenleben glücken? Die Bibel bietet für gläubige und nichtgläubige Menschen viele ethische Ansätze, die diskutiert, modifiziert bzw. übernommen werden können. Die Bibel ist und bleibt das wichtigste Erfahrungsbuch der Menschheit.

Ergänzung für andere Wissenschaften

  • Die Naturwissenschaften haben den Menschen in die Lage versetzt, natürliche Prozesse zu erkennen und sie durch Technik beherrschbar zu machen (Naturbeherrschung). Sie liefert uns eine realistische Platzbeschreibung und lässt uns besser abschätzen, was wir innerhalb dieses Ortes tun können. Sie kann uns, im Gegensatz zur Theologie, aber nicht sagen, was wir an diesem Ort tun sollen. Naturwissenschaft beschränkt sich zu beschreiben, was der Fall ist, aber nicht, was wert- oder sinnvoll sein könnte. Mit der Naturwissenschaft können wir die Natur besser erkennen, aber wir können mit ihr nicht jenen Satz formulieren, der den Schöpfungsbericht als Refrain durchzieht: “Und siehe, es war gut!”
  • Sozialwissenschaften befähigen den Menschen, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten (Kooperation). Dabei klärt etwa die Psychologie über Grundzüge unseres Denkens, Wahrnehmens und Handelns auf, Soziologie darüber, dass unsere Vorstellungen von Moral und Welt ebenso wie unser Verhalten sozial bedingt sind. Die Bibel ist ein Buch der normativen Größe, die sagt, was gut und böse ist. Sie ist damit Quelle von sozialem Ausgleich, also friedensstiftend gewesen, zugegebener Maßen auch Anlass von Krieg und Gewalt. Nur bei Philosophen erlebte man, dass sich Menschen um Bücher versammelten um nach deren Lehren zu leben. Durch die Beschäftigung mit der Bibel versuchte ein ganzes Volk, konsequent ein hochstehendes Ethos zu verwirklichen.
  • Geisteswissenschaften wollen persönliche Orientierung geben (Selbstverständnis). Geschichts-, Kunst- und Literaturwissenschaften versuchen herauszufinden, wie Menschen in der Geschichte ihr Leben gemeistert und interpretiert haben, um daraus Einsichten über die Möglichkeiten zu gewinnen, wie sie es selber können. In unvergleichlicher Art und Weise stellt die Bibel im Leben eines kleinen Volkes dieses Bemühen heraus, um menschliches Leben zu deuten und zu bewältigen.
  • Zusammenfassung: Alles Wissen dient zunächst der Orientierung. Wissen ist dabei Selbstzweck. Dabei urteilt die Wissenschaft über Fakten, die Theologie jedoch sucht zusätzlich nach dem Sinn und versucht beides zu verknüpfen.

Warum es mitunter schwer ist, sich mit der Bibel zu beschäftigen

Andere Zeit
Die Ursprünge der Bibel gehen in das Jahr 1800 vor Christus zurück. Die damaligen Lebensgewohnheiten und Lebensverhältnisse unterscheiden sich deutlich von unserem Leben heute. Heutzutage ist es ja kaum vorstellbar, wie man früher ohne Computer ausgekommen ist. Eine ganz andere Zeit war das damals noch … obwohl das neue Zeitalter erst vor 25 Jahren begonnen hat und nicht vor 3800 Jahren!

Andere Kultur
Wer ein fernes Land bereist, spürt oft, wie fremd einem die Gewohnheiten, die Traditionen, die Werte erscheinen. Ganz andere Bilder und Vergleiche werden verwendet, um einen Sachverhalt zu erläutern. Auch bei gutem Willen ist es oft nicht leicht, die andere Kultur zu verstehen.
Die meisten biblischen Geschichten spielen im Nahen Osten. Nomaden, Bauern und Kleinbürger sind die Träger der ‘Frohen Botschaft’. Viele Sitten und Bilder sind einem als Mitteleuropäer erst einmal fremd. Sie müssen in unseren Kontext ‘übersetzt’ werden.

Andere Adressaten
Die Verfasser der biblischen Bücher hatten zuerst einmal nicht uns im Blick. Das bedrückte Volk im Exil, Theophilus, dem Lukas das Evangelium nahe bringen will, Philemon, dem ein Sklave entlaufen ist, sind die Adressaten der Schriften. Erst im Glauben und u.U. nach langer Beschäftigung mit der Bibel kann man erkennen, dass diese Worte auch uns etwas zu sagen haben. Die biblischen Bücher müssen also erst einmal in unsere Situation ‘übersetzt’ werden.

Andere Sprache
Die Bibel ist in Hebräisch, Griechisch und in kleinen Teilen auch in Aramäisch verfasst worden. Im Gegensatz zum Koran durfte, ja musste man diese Schriften übersetzen, um sie einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Übersetzung bedeutet aber immer auch Interpretation. Interpretation ist aber natürlich subjektiv und kann sich u. U. von der ursprünglichen Bedeutung unterscheiden.
Die populärste Bibelübersetzung im deutschsprachigen Raum ist die Lutherbibel. Vielen, besonders jungen Menschen, muss heutzutage selbst die überarbeitete Lutherübersetzung ‘übersetzt’ werden, weil sie viele Ausdrücke nicht mehr verstehen. Dadurch erscheint ihnen die Bibel fremd.

Vielschichtigkeit
Die Bibel ist über einen langen Zeitraum entstanden. 2000 Jahre Kulturgeschichte findet sich in ihr wider. Im größten Teil des Alten Testaments ist z.B. die Vielehe erlaubt und üblich. Viele Gläubige haben an diesem Werk mitgearbeitet, indem sie ihre Erfahrungen aufgeschrieben haben bzw. verschiedene Geschichten gesammelt, zusammengefügt bzw. neu interpretiert haben. Kein Wunder, dass man auf augenscheinliche Widersprüche stößt, die man nicht wegharmonisieren kann. Wie aber damit umgehen?

Buch von Menschen
Die Bibel ist ein menschliches Buch. Die Verfasser und Redakteure waren Menschen. Die Konzile, die bestimmten, welche Schriften in den Kanon der Bibel aufgenommen werden (d.h. in die legitimierte Fassung der Glaubensrichtschnur), bestanden aus Menschen. Diejenigen, die die Bibel über Jahrhunderte per Hand abgeschrieben und da und dort kleine Fehler bzw. Ergänzungen gemacht haben, waren Menschen. Martin Luther, der beschloss, nur Schriften in den Kanon seiner Übersetzung aufzunehmen, die ein hebräisches Original haben, war ein Mensch. Wie können Menschen ein himmlisches Buch verfassen?

Folgerung

  • Man wird der Bibel nicht gerecht, wenn man den geschichtlichen Kontext der biblischen Schriften ignoriert.
  • Man wird der Bibel nicht gerecht, wenn man auf Glaubens- und Lebensfragen unreflektiert mit Bibelzitaten antwortet. Zu willkürlich wird oft mit der Bibel umgegangen, indem man die eigene persönliche Meinung mit einem gefunden Bibelzitat untermauert und damit aller Diskussion enthebt. Meist kann man genau zur gegenteiligen Meinung einen Vers aus der Bibel finden.
  • Um der Bibel gerecht zu werden, muss man den geschichtlichen Kontext beachten und die biblische Aussage dann in unsere Situation ‘übersetzen’. Das nennt man ‘Hermeneutik’.
  • Um der Bibel gerecht zu werden, braucht man Anleitung, z.B. durch Predigten, Bücher, Gesprächskreise, Bibelkurse etc., um sich stets auch hinterfragen zu lassen.

Literatur

Besonders hilfreich war mir bei der Erarbeitung der Ausstellung folgende Literatur:

  • Aus ‘Große Bibelatlas’, Pattloch 1998
    wurden die meisten Bilder und Anstöße für die Verfassung der geschichtlichen Texte gegeben. Es ist ein überaus lesenswertes Werk, das auf den Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung aufbaut.
  • Bei der Darstellung der Motive bin ich weitgehende Gerd Theißen: Zur Bibel motivieren, Gütersloh 2003 gefolgt.
  • Von Harald Bartling, Unterlagen zum Bibelkurs, Johannesburg 2001, habe ich das Bibelkundewissen ab ‚Weisheit’ übernommen.
  • Grundlage für das Bibelkundewissen bis 2. Könige war Preuß/Beger, Bibelkunde, UTB 1989
  • Aus dem Kleinen Führer durch die Bibel, Deutsche Bibelgesellschaft 1995 habe ich eine Zusammenfassung der Spätschriften kopiert.
  • Aus dem Heftchen Steig ein in die Bibel, Gute Nachricht für dich, Bibelgesellschaft 1995 sind die Tipps zum Bibellesen.
  • Das Medienpaket: Die Bibel überliefert und gelebt, 1987 gab gute Anregungen für die Entstehung der Bibel.
  • Auch aus dem Buch 6000 Jahre und ein Buch, Oncken Verlag 1992 habe ich einige Bilder und Texte zur Geschichte übernommen.

Außerdem habe ich als Literatur verwendet:

  • Elektronische Bibelkunde, 2003
  • Bildungsschatz Bibel, 2003

Pretoria, 25.10.2003

Jost Herrmann

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